Ver­fah­rens­in­for­ma­ti­on



Die im März 2007 ge­bo­re­ne Klä­ge­rin ist (oh­ne An­ga­be ih­res Ge­burts­orts und oh­ne ei­ge­nes Licht­bild) in den ukrai­ni­schen In­lands­pass ih­rer Mut­ter ein­ge­tra­gen. Sie ist mit ih­ren El­tern 2008 in das Bun­des­ge­biet ein­ge­reist; meh­re­re Asyl­ver­fah­ren der Fa­mi­lie, in de­nen die El­tern der Klä­ge­rin über ih­re Iden­ti­tät und Staats­an­ge­hö­rig­keit ge­täuscht hat­ten, sind oh­ne Er­folg ge­blie­ben. Die Kla­ge der Klä­ge­rin auf Er­tei­lung ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Auf­en­thG, hilfs­wei­se ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis nach Ka­pi­tel 2 Ab­schnitt 5 des Auf­ent­halts­ge­set­zes, war vor dem Ober­ver­wal­tungs­ge­richt teil­wei­se er­folg­reich. Das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt hat die Be­klag­te u. a. ver­pflich­tet, der Klä­ge­rin ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG (so­ge­nann­tes Chan­cen-Auf­ent­halts­recht) zu er­tei­len. Die­se Rechts­grund­la­ge sei auch auf Min­der­jäh­ri­ge an­wend­bar. Dem An­spruch ste­he nicht ent­ge­gen, dass ein Be­kennt­nis der Klä­ge­rin zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nicht vor­lie­ge. Die­se in § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG ge­re­gel­te Vor­aus­set­zung brau­che die im Ent­schei­dungs­zeit­punkt 15-jäh­ri­ge Klä­ge­rin nicht zu er­fül­len, weil sie im An­schluss ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Auf­en­thG an­stre­be, die ein po­si­ti­ves (schrift­li­ches) Be­kennt­nis an­ders als § 25b Auf­en­thG nicht vor­aus­set­ze. Ge­gen die­se Rechts­auf­fas­sun­gen wen­det sich die Be­klag­te mit ih­rer Re­vi­si­on.


Pres­se­mit­tei­lung Nr. 12/2025 vom 27.02.2025

Chan­cen-Auf­ent­halts­recht bei Min­der­jäh­rig­keit

Die Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG (so­ge­nann­tes Chan­cen-Auf­ent­halts­recht) setzt kei­ne Voll­jäh­rig­keit des Aus­län­ders vor­aus. Min­der­jäh­ri­ge sind von dem Er­for­der­nis der Ab­ga­be ei­nes Be­kennt­nis­ses zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung be­freit, wenn sie das 16. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet ha­ben. Das hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt in Leip­zig heu­te ent­schie­den.


Die im März 2007 in der Ukrai­ne ge­bo­re­ne Klä­ge­rin reis­te mit ih­ren El­tern 2008 in das Bun­des­ge­biet ein. Meh­re­re Asyl­ver­fah­ren der Fa­mi­lie, in de­nen die El­tern der Klä­ge­rin über ih­re Iden­ti­tät und Staats­an­ge­hö­rig­keit ge­täuscht hat­ten, blie­ben oh­ne Er­folg. Die Kla­ge der Klä­ge­rin auf Er­tei­lung ei­ner hu­ma­ni­tä­ren Auf­ent­halts­er­laub­nis hat das Ver­wal­tungs­ge­richt ab­ge­wie­sen. Auf ih­re Be­ru­fung hat das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt die Be­klag­te un­ter an­de­rem ver­pflich­tet, der Klä­ge­rin ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG zu er­tei­len. Die­se Rechts­grund­la­ge sei auch auf Min­der­jäh­ri­ge an­wend­bar. Dem An­spruch ste­he nicht ent­ge­gen, dass ein Be­kennt­nis der Klä­ge­rin zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nicht vor­lie­ge. Die­se in § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG ge­re­gel­te Vor­aus­set­zung brau­che die im Ent­schei­dungs­zeit­punkt 15-jäh­ri­ge Klä­ge­rin nicht zu er­fül­len, weil sie im An­schluss ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Auf­en­thG an­stre­be, die ein po­si­ti­ves (schrift­li­ches) Be­kennt­nis an­ders als § 25b Auf­en­thG nicht vor­aus­set­ze.


Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt hat die Re­vi­si­on der Be­klag­ten zu­rück­ge­wie­sen. Ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG kann auch Min­der­jäh­ri­gen er­teilt wer­den. Das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht soll dem Ti­tel­in­ha­ber auf der Grund­la­ge ei­nes er­laub­ten Auf­ent­halts er­mög­li­chen, noch feh­len­de Vor­aus­set­zun­gen für ei­nen Auf­ent­halt nach § 25a oder § 25b Auf­en­thG nach­zu­ho­len (z.B. Klä­rung der Iden­ti­tät und Er­fül­lung der Pass­pflicht). Die Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Abs. 1 Auf­en­thG rich­tet sich an Ju­gend­li­che und jun­ge Voll­jäh­ri­ge bis zur Voll­endung des 27. Le­bens­jah­res. Es ist kei­ne trag­fä­hi­ge Be­grün­dung für die An­nah­me er­sicht­lich, dass der Ge­setz­ge­ber die durch § 104c Abs. 1 Auf­en­thG er­mög­lich­te "Brü­cke" zu ei­nem ver­fes­ti­gungs­of­fe­nen Auf­ent­halt Voll­jäh­ri­gen vor­be­hal­ten und ei­nen Teil der (je­den­falls) durch die An­schluss­norm des § 25a Auf­en­thG Be­rech­tig­ten hier­von aus­schlie­ßen woll­te.


Im Er­geb­nis zu­tref­fend hat das Be­ru­fungs­ge­richt zu­dem ent­schie­den, dass die Klä­ge­rin kein Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung ab­ge­ben muss. Es han­delt sich hier­bei um ei­ne höchst­per­sön­li­che Er­klä­rung, die nur von Per­so­nen zu ver­lan­gen ist, die das 16. Le­bens­jahr be­reits voll­endet ha­ben. Zwar sieht der Wort­laut des § 104 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG - an­ders als § 10 Abs. 1 Satz 2 Staats­an­ge­hö­rig­keits­ge­setz (StAG) für das bei der Ein­bür­ge­rung ab­zu­ge­ben­de Be­kennt­nis - ei­ne sol­che Al­ters­gren­ze nicht vor. Er ist in­so­weit al­ler­dings plan­wid­rig zu weit ge­fasst. Die­ses Re­ge­lungs­de­fi­zit ist durch ei­ne ent­spre­chen­de An­wen­dung des § 10 Abs. 1 Satz 2 StAG zu schlie­ßen. Da­nach muss ein Aus­län­der, der das 16. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet hat, ein Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung nicht ab­ge­ben. Hier­von ge­hen im Er­geb­nis auch die An­wen­dungs­hin­wei­se des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums des In­nern und für Hei­mat zur Ein­füh­rung ei­nes Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts aus.


BVer­wG 1 C 13.23 - Ur­teil vom 27. Fe­bru­ar 2025

Vor­in­stan­zen:

VG Mag­de­burg, VG 8 A 228/19 MD - Ur­teil vom 24. Au­gust 2020 -

OVG Mag­de­burg, OVG 2 L 102/20 - Ur­teil vom 08. März 2023 -


Be­schluss vom 29.08.2023 -
BVer­wG 1 B 16.23ECLI:DE:BVer­wG:2023:290823B1B16.23.0

  • Zi­tier­vor­schlag

Be­schluss

BVer­wG 1 B 16.23

  • VG Mag­de­burg - 24.08.2020 - AZ: 8 A 228/19 MD
  • OVG Mag­de­burg - 08.03.2023 - AZ: 2 L 102/20

In der Ver­wal­tungs­streit­sa­che hat der 1. Se­nat des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts
am 29. Au­gust 2023
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Kel­ler,
den Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Böh­mann und
die Rich­te­rin am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Witt­kopp
be­schlos­sen:

  1. Die Ent­schei­dung des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts des Lan­des Sach­sen-An­halt über die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­on ge­gen sein Ur­teil vom 8. März 2023 wird ge­än­dert.
  2. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen, so­weit die Be­klag­te ver­pflich­tet wor­den ist, der Klä­ge­rin ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG zu er­tei­len.
  3. Im Üb­ri­gen wird die Be­schwer­de der Be­klag­ten ver­wor­fen.
  4. Die Ent­schei­dung über die Kos­ten des Be­schwer­de­ver­fah­rens folgt der Kos­ten­ent­schei­dung in der Haupt­sa­che.
  5. Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des wird für das Be­schwer­de­ver­fah­ren und für das Re­vi­si­ons­ver­fah­ren - in­so­weit vor­läu­fig - auf je­weils 5 000 € fest­ge­setzt.

Grün­de

1 Die auf den Zu­las­sungs­grund der grund­sätz­li­chen Be­deu­tung der Rechts­sa­che ge­stütz­te Be­schwer­de der Be­klag­ten hat in dem im Te­nor be­zeich­ne­ten Um­fang Er­folg.

2 1. So­weit die Be­klag­te ver­pflich­tet wor­den ist, über den An­trag der Klä­ge­rin auf Er­tei­lung ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Auf­en­thG un­ter Be­ach­tung der Rechts­auf­fas­sung des Ge­richts er­neut zu ent­schei­den, ist die Be­schwer­de un­zu­läs­sig. Sie macht in­so­weit Zu­las­sungs­grün­de we­der gel­tend noch legt sie sol­che den An­for­de­run­gen des § 133 Abs. 3 Satz 3 Vw­GO ent­spre­chend dar.

3 2. Die Re­vi­si­on ist aber we­gen grund­sätz­li­cher Be­deu­tung der Rechts­sa­che (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 Vw­GO) zu­zu­las­sen, so­weit die Be­klag­te un­ter ent­spre­chen­der Auf­he­bung der ent­ge­gen­ste­hen­den Be­schei­de ver­pflich­tet wor­den ist, der Klä­ge­rin ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG zu er­tei­len. Die Re­vi­si­on kann dem Se­nat Ge­le­gen­heit ge­ben, die An­wend­bar­keit des § 104c Abs. 1 Auf­en­thG so­wie die Be­deu­tung des in § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG vor­aus­ge­setz­ten Be­kennt­nis­ses zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land bei min­der­jäh­ri­gen An­trag­stel­lern nä­her zu klä­ren.

4 3. Die Teil­zu­las­sung der Re­vi­si­on ist zu­läs­sig, weil dem Aus­gangs­ver­fah­ren un­ter­schied­li­che Streit­ge­gen­stän­de zu­grun­de lie­gen, die nicht in ei­nem der Teil­zu­las­sung ent­ge­gen­ste­hen­den Ab­hän­gig­keits­ver­hält­nis von­ein­an­der ste­hen. Die Kla­ge ist mit dem Haupt­an­trag auf die Ver­pflich­tung der Be­klag­ten zur Er­tei­lung ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Auf­en­thG und mit dem Hilfs­an­trag un­ter an­de­rem auf die Ver­pflich­tung zur Er­tei­lung ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG ge­rich­tet. Hier­bei han­delt es sich un­ge­ach­tet des­sen, dass bei­de Vor­schrif­ten hu­ma­ni­tä­re Auf­ent­halts­er­laub­nis­se nach Ka­pi­tel 2 Ab­schnitt 5 des Auf­ent­halts­ge­set­zes re­geln (vgl. § 104c Abs. 3 Satz 2 Auf­en­thG), we­gen der un­ter­schied­li­chen Rechts­fol­gen um ver­schie­de­ne Streit­ge­gen­stän­de (zu ver­gleich­ba­ren Fall­ge­stal­tun­gen BVer­wG, Ur­tei­le vom 11. Ja­nu­ar 2011 - 1 C 22.09 - BVer­w­GE 138, 336 Rn. 19 f. und vom 18. De­zem­ber 2019 - 1 C 34.18 - BVer­w­GE 167, 211 Rn. 17). Das be­fris­te­te Chan­cen-Auf­ent­halts­recht nach § 104c Auf­en­thG soll die Ge­le­gen­heit zur Er­fül­lung der Vor­aus­set­zun­gen für die Er­tei­lung ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a oder § 25b Auf­en­thG ge­ben (BT-Drs. 20/3717 S. 2, 17), un­ter­schei­det sich aber von die­sen Auf­ent­halts­ti­teln in den Vor­aus­set­zun­gen und in den Rechts­fol­gen.

5 Die Streit­wert­fest­set­zung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 und § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Rechts­be­helfs­be­leh­rung


So­weit die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen wor­den ist, wird das Be­schwer­de­ver­fah­ren als Re­vi­si­ons­ver­fah­ren un­ter dem Ak­ten­zei­chen BVer­wG 1 C 13.23 fort­ge­setzt. Der Ein­le­gung ei­ner Re­vi­si­on durch den Be­schwer­de­füh­rer be­darf es nicht.
Die Re­vi­si­on ist in­ner­halb ei­nes Mo­nats nach Zu­stel­lung die­ses Be­schlus­ses zu be­grün­den. Die Be­grün­dung ist bei dem Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt in Leip­zig ein­zu­rei­chen.
Für die Be­tei­lig­ten be­steht Ver­tre­tungs­zwang; dies gilt auch für die Be­grün­dung der Re­vi­si­on. Die Be­tei­lig­ten müs­sen sich durch Be­voll­mäch­tig­te im Sin­ne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 Vw­GO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RD­GEG ver­tre­ten las­sen.

Ur­teil vom 27.02.2025 -
BVer­wG 1 C 13.23ECLI:DE:BVer­wG:2025:270225U1C13.23.0

Chan­cen-Auf­ent­halts­recht bei Min­der­jäh­rig­keit

Leit­sät­ze:

1. Ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG (Chan­cen-Auf­ent­halts­recht) kann auch min­der­jäh­ri­gen Aus­län­dern er­teilt wer­den.

2. Min­der­jäh­ri­ge Aus­län­der sind in ana­lo­ger An­wen­dung des § 10 Abs. 1 Satz 2 StAG von dem Er­for­der­nis der Ab­ga­be ei­nes Be­kennt­nis­ses zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung nach § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG be­freit, wenn sie das 16. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet ha­ben.

  • Rechts­quel­len
  • Zi­tier­vor­schlag

Ur­teil

BVer­wG 1 C 13.23

  • VG Mag­de­burg - 24.08.2020 - AZ: 8 A 228/19 MD
  • OVG Mag­de­burg - 08.03.2023 - AZ: 2 L 102/20

In der Ver­wal­tungs­streit­sa­che hat der 1. Se­nat des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 27. Fe­bru­ar 2025
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Kel­ler,
die Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Prof. Dr. Fleuß und Böh­mann und
die Rich­te­rin­nen am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Witt­kopp und Fenzl
für Recht er­kannt:

  1. Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts des Lan­des Sach­sen-An­halt vom 8. März 2023 wird zu­rück­ge­wie­sen.
  2. Die Be­klag­te trägt die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens.

Grün­de

I

1 Die Klä­ge­rin be­gehrt die Er­tei­lung ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG.

2 Die im März 2007 in der Ukrai­ne ge­bo­re­ne Klä­ge­rin reis­te im De­zem­ber 2008 mit ih­ren El­tern in die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ein. In den Asyl­an­trä­gen der Fa­mi­lie ga­ben die El­tern wahr­heits­wid­rig an, aus dem Irak zu stam­men. Das Bun­des­amt für Mi­gra­ti­on und Flücht­lin­ge (Bun­des­amt) lehn­te die An­trä­ge mit Be­scheid vom 14. Sep­tem­ber 2009 we­gen Täu­schung über die Iden­ti­tät und Staats­an­ge­hö­rig­keit als of­fen­sicht­lich un­be­grün­det ab. Es stell­te fest, dass kei­ne Ab­schie­bungs­ver­bo­te vor­lä­gen, und droh­te der Fa­mi­lie die Ab­schie­bung in den - nicht wei­ter spe­zi­fi­zier­ten - Her­kunfts­staat an.

3 Auf­grund der un­ge­klär­ten Iden­ti­tät er­hiel­ten die Klä­ge­rin und ih­re El­tern im Ja­nu­ar 2010 be­fris­te­te Dul­dun­gen, die zu­nächst lau­fend ver­län­gert wur­den. Im Ju­ni 2015 kam ei­ne ar­me­ni­sche Ex­per­ten­kom­mis­si­on zu dem Er­geb­nis, dass die El­tern ar­me­ni­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge sei­en. Mit Be­scheid vom 15. Fe­bru­ar 2017 lehn­te das Bun­des­amt Asyl­fol­ge­an­trä­ge der El­tern, der Klä­ge­rin und ih­rer in Deutsch­land ge­bo­re­nen Ge­schwis­ter als un­zu­läs­sig ab und droh­te ih­nen un­ter Än­de­rung der ur­sprüng­li­chen Be­schei­de die Ab­schie­bung nach Ar­me­ni­en an.

4 Im Ja­nu­ar 2018 wur­den im Rah­men ei­ner Haus­durch­su­chung ukrai­ni­sche In­lands­päs­se auf­ge­fun­den, die die El­tern und die dar­in ein­ge­tra­ge­ne Klä­ge­rin als ukrai­ni­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge aus­wie­sen. Das Bun­des­amt stell­te mit Be­scheid vom 13. Ju­ni 2018 für die Klä­ge­rin so­wie ih­re El­tern und Ge­schwis­ter fest, dass kei­ne Ab­schie­bungs­ver­bo­te in Be­zug auf die Ukrai­ne vor­lä­gen. Die er­las­se­nen Ab­schie­bungs­an­dro­hun­gen än­der­te es da­hin, dass der Fa­mi­lie ei­ne Ab­schie­bung in die Ukrai­ne an­ge­droht wur­de.

5 Im Fe­bru­ar 2018 be­an­trag­ten die Klä­ge­rin, ih­re El­tern und Ge­schwis­ter die Er­tei­lung ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis, wo­bei das Be­geh­ren der Klä­ge­rin pri­mär auf § 25a Abs. 1 Auf­en­thG ge­stützt war. Mit Be­scheid vom 22. Ju­ni 2018 lehn­te die Be­klag­te den An­trag der Klä­ge­rin ab, weil die­se als Elf­jäh­ri­ge kei­ne Ju­gend­li­che oder Her­an­wach­sen­de im Sin­ne des § 25a Abs. 1 Auf­en­thG sei. Mit Wi­der­spruchs­be­scheid vom 21. Fe­bru­ar 2019 wies das Lan­des­ver­wal­tungs­amt Sach­sen-An­halt den Wi­der­spruch der Klä­ge­rin zu­rück.

6 Die da­ge­gen er­ho­be­ne Kla­ge hat das Ver­wal­tungs­ge­richt un­ter Ver­weis auf die Ti­teler­tei­lungs­sper­re des § 10 Abs. 3 Satz 2 Auf­en­thG ab­ge­wie­sen. Im Be­ru­fungs­ver­fah­ren hat die Be­klag­te das nach § 25a Abs. 4 Auf­en­thG er­öff­ne­te Er­mes­sen, von der Ti­teler­tei­lungs­sper­re ab­zu­wei­chen, zu­las­ten der Klä­ge­rin aus­ge­übt. Die Iden­ti­tät der Klä­ge­rin sei nicht ab­schlie­ßend ge­klärt. Die feh­len­de Mit­wir­kung ih­rer El­tern müs­se sie sich zu­rech­nen las­sen.

7 Im Ja­nu­ar 2023 hat das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt die Be­tei­lig­ten auf die Mög­lich­keit hin­ge­wie­sen, auf der Grund­la­ge des am 31. De­zem­ber 2022 in Kraft ge­tre­te­nen § 104c Abs. 1 und 3 Auf­en­thG ei­ne be­fris­te­te, nicht ver­län­ger­ba­re Auf­ent­halts­er­laub­nis zu er­tei­len. Dem hat die Be­klag­te ent­ge­gen­ge­hal­ten, § 104c Abs. 1 Auf­en­thG sei auf Min­der­jäh­ri­ge nicht an­wend­bar. Die Er­tei­lung die­ser Auf­ent­halts­er­laub­nis schei­te­re fer­ner aus den­sel­ben Grün­den wie bei § 25a Auf­en­thG an der Ti­teler­tei­lungs­sper­re des § 10 Abs. 3 Satz 2 Auf­en­thG. Zu­dem er­fül­le die Klä­ge­rin nicht die Vor­aus­set­zung des fünf­jäh­ri­gen ge­dul­de­ten Vor­auf­ent­halts.

8 Mit Ur­teil vom 8. März 2023 hat das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt die Be­klag­te auf den Haupt­an­trag der Klä­ge­rin ver­pflich­tet, den An­trag auf Er­tei­lung ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Abs. 1 Auf­en­thG un­ter Be­ach­tung der Rechts­auf­fas­sung des Ge­richts neu zu be­schei­den. Auf ei­nen hilfs­wei­se ge­stell­ten An­trag hat es die Be­klag­te ver­pflich­tet, der Klä­ge­rin ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis ge­mäß § 104c Abs. 1 Auf­en­thG zu er­tei­len. Im Üb­ri­gen hat es die Be­ru­fung zu­rück­ge­wie­sen. § 104c Abs. 1 Auf­en­thG fin­de auch auf Min­der­jäh­ri­ge An­wen­dung. Die Klä­ge­rin wei­se fer­ner den er­for­der­li­chen un­un­ter­bro­che­nen fünf­jäh­ri­gen ge­dul­de­ten Vor­auf­ent­halt im Bun­des­ge­biet zum Stich­tag auf. Die in § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG ge­nann­te Vor­aus­set­zung ei­nes Be­kennt­nis­ses zur frei­heit­lich de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung brau­che sie nicht zu er­fül­len. Im Ge­gen­satz zu § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Auf­en­thG ver­lan­ge § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG - eben­so wie § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Auf­en­thG - ein po­si­ti­ves Be­kennt­nis. § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG sei im We­ge der te­leo­lo­gi­schen Re­duk­ti­on da­hin aus­zu­le­gen, dass ein po­si­ti­ves Be­kennt­nis nur dann er­for­der­lich sei, wenn ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25b Auf­en­thG an­ge­strebt wer­de, nicht aber, wenn sich das An­schluss­be­geh­ren auf ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Auf­en­thG rich­te. Ver­sa­gungs­grün­de lä­gen nicht vor. Die Ti­teler­tei­lungs­sper­re des § 10 Abs. 3 Satz 2 Auf­en­thG ste­he dem An­spruch nicht ent­ge­gen. Das in § 104c Abs. 3 Satz 1 Auf­en­thG er­öff­ne­te Er­mes­sen, von ihr ab­zu­wei­chen, sei hier auf Null re­du­ziert.

9 Mit ih­rer auf den bis­he­ri­gen Hilfs­an­trag be­schränk­ten Re­vi­si­on rügt die Be­klag­te ei­ne Ver­let­zung des § 104c Abs. 1 Auf­en­thG. Die Vor­schrift ver­lan­ge aus­nahms­los ein ak­ti­ves Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung. Ei­ne Stell­ver­tre­tung sei auf­grund des höchst­per­sön­li­chen Cha­rak­ters des Be­kennt­nis­ses nicht zu­läs­sig. Der Klä­ge­rin sei die Er­fül­lung der Be­kennt­nis­pflicht man­gels Hand­lungs­fä­hig­keit nicht mög­lich. Die von dem Be­ru­fungs­ge­richt vor­ge­nom­me­ne te­leo­lo­gi­sche Be­schrän­kung des § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG ste­he im Wi­der­spruch zum Wort­laut der Vor­schrift. Die Si­tua­ti­on sei nicht mit dem Ein­bür­ge­rungs­recht, auf das die An­wen­dungs­hin­wei­se ver­wie­sen, ver­gleich­bar. Ei­ne mit § 10 Abs. 1 Satz 2 StAG ver­gleich­ba­re ge­setz­li­che Aus­nah­me­re­ge­lung feh­le im Auf­ent­halts­recht. So­weit es nach Ziff. 10.1.2 VAH-StAG ei­nes Be­kennt­nis­ses nicht be­dür­fe, wenn der Ein­bür­ge­rungs­be­wer­ber nicht hand­lungs­fä­hig im Sin­ne des § 80 Abs. 1 Auf­en­thG, das hei­ßt un­ter 16 Jah­re alt sei, sei die Vor­schrift zu­dem ver­al­tet. Denn der Ge­setz­ge­ber ha­be die Al­ters­gren­ze für die aus­län­der­recht­li­che Hand­lungs­fä­hig­keit zum 1. No­vem­ber 2015 auf 18 Jah­re an­ge­ho­ben, wäh­rend die Al­ters­gren­ze in § 37 Abs. 1 Satz 1 StAG (a. F., ent­spricht ak­tu­ell § 34 Abs. 1 StAG) un­ver­än­dert ge­blie­ben sei. Rich­ti­ger­wei­se sei § 104c Abs. 1 Auf­en­thG da­her von vorn­her­ein nur auf voll­jäh­ri­ge Aus­län­der an­zu­wen­den. Nicht halt­bar sei auch die Auf­fas­sung des Be­ru­fungs­ge­richts, ein Be­kennt­nis sei nur bei An­trag­stel­lern zu for­dern, die nach Ab­lauf des Gel­tungs­zeit­raums ei­ne Ver­län­ge­rung der Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25b Auf­en­thG (und nicht nach § 25a Auf­en­thG) an­streb­ten.

10 Die Klä­ge­rin ver­tei­digt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil.

II

11 Die zu­läs­si­ge Re­vi­si­on ist nicht be­grün­det. Im Er­geb­nis zu­tref­fend hat das Be­ru­fungs­ge­richt die Be­klag­te ver­pflich­tet, der Klä­ge­rin ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG (so­ge­nann­tes Chan­cen-Auf­ent­halts­recht) zu er­tei­len. Sei­ne Rechts­auf­fas­sung, die tat­be­stand­li­che Vor­aus­set­zung ei­nes Be­kennt­nis­ses zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung sei stets ent­behr­lich, wenn der An­trag­stel­ler im An­schluss an das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Auf­en­thG an­stre­be, ver­letzt zwar Bun­des­recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 Vw­GO). Die An­nah­me, die Klä­ge­rin brau­che ein sol­ches Be­kennt­nis nicht ab­zu­ge­ben, er­weist sich aber aus an­de­ren Grün­den als rich­tig (vgl. § 144 Abs. 4 Vw­GO). Denn ein Aus­län­der, der das 16. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet hat, ist von der Er­fül­lung der Vor­aus­set­zung des § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG in ent­spre­chen­der An­wen­dung des § 10 Abs. 1 Satz 2 StAG be­freit. Auch die wei­te­ren Vor­aus­set­zun­gen für die Er­tei­lung ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG hat das Be­ru­fungs­ge­richt auf der Grund­la­ge sei­ner für den Se­nat bin­den­den tat­säch­li­chen Fest­stel­lun­gen (§ 137 Abs. 2 Vw­GO) im Er­geb­nis zu­tref­fend be­jaht.

12 Ma­ß­geb­lich für die recht­li­che Be­ur­tei­lung des Kla­ge­be­geh­rens ist bei Ver­pflich­tungs­kla­gen auf Er­tei­lung ei­nes Auf­ent­halts­ti­tels grund­sätz­lich der Zeit­punkt der letz­ten münd­li­chen Ver­hand­lung oder Ent­schei­dung in der Tat­sa­chen­in­stanz (stRspr, vgl. BVer­wG, Ur­teil vom 17. De­zem­ber 2015 - 1 C 31.14 - BVer­w­GE 153, 353 Rn. 9). Rechts­än­de­run­gen, die nach der Be­ru­fungs­ent­schei­dung ein­tre­ten, sind vom Re­vi­si­ons­ge­richt zu be­rück­sich­ti­gen, wenn sie das Be­ru­fungs­ge­richt, wenn es jetzt ent­schie­de, zu be­ach­ten hät­te (stRspr, vgl. BVer­wG, Ur­teil vom 17. Sep­tem­ber 2015 - 1 C 27.14 - NVwZ 2016, 71 Rn. 10). Der re­vi­si­ons­ge­richt­li­chen Be­ur­tei­lung ist hier­nach das Ge­setz über den Auf­ent­halt, die Er­werbs­tä­tig­keit und die In­te­gra­ti­on von Aus­län­dern im Bun­des­ge­biet (Auf­ent­halts­ge­setz - Auf­en­thG) i. d. F. der Be­kannt­ma­chung vom 25. Fe­bru­ar 2008 (BGBl. I S. 162), zu­letzt ge­än­dert durch das Ge­setz zur Ver­bes­se­rung der in­ne­ren Si­cher­heit und des Asyl­sys­tems vom 25. Ok­to­ber 2024 (BGBl. I Nr. 332) zu­grun­de zu le­gen. Nicht zu be­rück­sich­ti­gen ist da­bei die wäh­rend des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens er­folg­te Än­de­rung des § 10 Abs. 3 Satz 2 Auf­en­thG (vgl. Art. 1 Nr. 3 des am 27. Fe­bru­ar 2024 in Kraft ge­tre­te­nen Ge­set­zes zur Ver­bes­se­rung der Rück­füh­rung, BGBl. I Nr. 54), weil die­se nach der gleich­zei­tig ge­schaf­fe­nen Über­gangs­vor­schrift des § 104 Abs. 19 Auf­en­thG auf vor dem 27. Fe­bru­ar 2024 als of­fen­sicht­lich un­be­grün­det ab­ge­lehn­te An­trä­ge kei­ne An­wen­dung fin­det.

13 Die Kla­ge ist hin­sicht­lich des al­lein noch ver­fah­rens­ge­gen­ständ­li­chen An­trags auf Er­tei­lung ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG als Ver­pflich­tungs­kla­ge statt­haft und auch im Üb­ri­gen zu­läs­sig. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten fehlt es hier nicht an ei­nem vor Kla­ge­er­he­bung er­folg­los ge­stell­ten An­trag. Der un­ter dem 5. Fe­bru­ar 2018 ge­stell­te An­trag der Klä­ge­rin auf Er­tei­lung ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis er­fass­te bei sach­dien­li­cher Aus­le­gung al­le in Be­tracht kom­men­den Auf­ent­halts­ti­tel nach Ka­pi­tel 2 Ab­schnitt 5 des Auf­ent­halts­ge­set­zes (Auf­ent­halt aus völ­ker­recht­li­chen, hu­ma­ni­tä­ren oder po­li­ti­schen Grün­den). Da­mit er­streck­te er sich - un­ter den hier ge­ge­be­nen Um­stän­den - nicht nur auf § 25 Abs. 5 Auf­en­thG, wo­von be­reits die an­ge­foch­te­nen Be­schei­de aus­ge­gan­gen sind, son­dern auch auf die erst wäh­rend des zweit­in­stanz­li­chen Ver­fah­rens in Kraft ge­tre­te­ne Re­ge­lung über die Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG, die nach § 104c Abs. 3 Satz 2 Auf­en­thG als Auf­ent­halts­ti­tel nach Ka­pi­tel 2 Ab­schnitt 5 gilt. Ei­ner er­neu­ten An­trag­stel­lung be­durf­te es in­so­weit nicht (vgl. BVer­wG, Ur­teil vom 18. De­zem­ber 2019 - 1 C 34.18 - BVer­w­GE 167, 211 Rn. 20). Die Be­klag­te hat­te im Be­ru­fungs­ver­fah­ren hin­rei­chend Ge­le­gen­heit, zu die­ser Re­ge­lung Stel­lung zu neh­men.

14 Das Rechts­schutz­in­ter­es­se der Klä­ge­rin be­steht fort. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat die Be­klag­te zwar rechts­kräf­tig ver­pflich­tet, ih­ren An­trag auf Er­tei­lung ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Abs. 1 Auf­en­thG er­neut zu be­schei­den. Ei­ne sol­che Auf­ent­halts­er­laub­nis, die we­gen der mit ihr ver­bun­de­nen wei­ter­rei­chen­den Rechts­stel­lung das Rechts­schutz­be­dürf­nis für ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG ent­fal­len lie­ße, ist der Klä­ge­rin aber bis­lang nicht er­teilt wor­den.

15 Die Kla­ge ist auch be­grün­det. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat den gel­tend ge­mach­ten An­spruch auf Er­tei­lung ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG im Er­geb­nis zu­tref­fend be­jaht.

16 Die Klä­ge­rin er­füllt die be­son­de­ren Er­tei­lungs­vor­aus­set­zun­gen die­ser Rechts­grund­la­ge: Sie ist auch als Min­der­jäh­ri­ge ei­ne Aus­län­de­rin im Sin­ne des § 104c Abs. 1 Auf­en­thG (1.) und war im ma­ß­geb­li­chen Zeit­punkt im Be­sitz ei­ner Dul­dung (2.). Am Stich­tag 31. Ok­to­ber 2022 ver­füg­te sie über ei­nen fünf­jäh­ri­gen un­un­ter­bro­chen ge­dul­de­ten Auf­ent­halt (3.). Das von § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG grund­sätz­lich ver­lang­te Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung muss­te die Klä­ge­rin nicht ab­ge­ben, da sie im ma­ß­geb­li­chen Zeit­punkt das 16. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet hat­te (§ 10 Abs. 1 Satz 2 StAG ana­log, da­zu 4.). Sie er­füllt die ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen des § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Auf­en­thG an die straf­recht­li­che Un­be­schol­ten­heit (5.). Der Re­gel­ver­sa­gungs­grund des § 104c Abs. 1 Satz 2 Auf­en­thG liegt nicht vor (6.). Die all­ge­mei­nen Er­tei­lungs­vor­aus­set­zun­gen lie­gen, so­weit er­for­der­lich, vor (7.). Die hier grund­sätz­lich ein­grei­fen­de Ti­teler­tei­lungs­sper­re des § 10 Abs. 3 Satz 2 Auf­en­thG in der bis zum 26. Fe­bru­ar 2024 gel­ten­den Fas­sung steht der Er­tei­lung der Auf­ent­halts­er­laub­nis nicht ent­ge­gen. Denn das in § 104c Abs. 3 Satz 1 Auf­en­thG er­öff­ne­te Er­mes­sen der Be­klag­ten, hier­von ab­zu­wei­chen, ist nach der recht­lich nicht zu be­an­stan­den­den An­nah­me des Be­ru­fungs­ge­richts auf Null re­du­ziert (8.).

17 1. Oh­ne Ver­stoß ge­gen Bun­des­recht ist das Be­ru­fungs­ge­richt da­von aus­ge­gan­gen, dass der An­wen­dungs­be­reich des § 104c Abs. 1 Auf­en­thG nicht auf voll­jäh­ri­ge Aus­län­der be­schränkt ist. Nach dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers sol­len min­der­jäh­ri­ge Aus­län­der nicht nur ein ab­ge­lei­te­tes Auf­ent­halts­recht nach Ab­satz 2, son­dern auch ein ei­gen­stän­di­ges Auf­ent­halts­recht nach Ab­satz 1 er­wer­ben kön­nen. Der Wort­laut des Ab­sat­zes 1 lässt kei­ne Be­schrän­kung auf voll­jäh­ri­ge Aus­län­der er­ken­nen; da­nach gilt die Re­ge­lung viel­mehr für al­le Aus­län­der im Sin­ne der Be­griffs­be­stim­mung des § 2 Abs. 1 Auf­en­thG.

18 Kon­kre­te An­halts­punk­te für ei­ne Be­schrän­kung des An­wen­dungs­be­reichs auf voll­jäh­ri­ge Aus­län­der sind auch der Be­grün­dung des Ge­setz­ent­wurfs nicht zu ent­neh­men. Der dar­aus er­sicht­li­che Zweck des Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts spricht im Ge­gen­teil da­für, dass al­le Aus­län­der, für die nach Ab­lauf der Gel­tungs­dau­er des Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a und § 25b Auf­en­thG in Be­tracht kommt, von § 104c Abs. 1 Auf­en­thG er­fasst sein sol­len. Denn das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht soll es er­mög­li­chen, noch feh­len­de Vor­aus­set­zun­gen, et­wa die Er­fül­lung der Pass­pflicht oder die Klä­rung der Iden­ti­tät, wäh­rend sei­ner be­fris­te­ten Gül­tig­keits­dau­er nach­zu­ho­len, um ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Abs. 1 oder nach § 25b Abs. 1 Auf­en­thG zu er­lan­gen, die ei­ne Per­spek­ti­ve auf ei­nen dau­er­haft recht­mä­ßi­gen Auf­ent­halt in Deutsch­land er­öff­net (BT-Drs. 20/3717 S. 45). Die Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Auf­en­thG rich­tet sich an Ju­gend­li­che und jun­ge Voll­jäh­ri­ge bis zur Voll­endung des 27. Le­bens­jah­res. Sie be­güns­tigt da­mit aus­drück­lich auch Min­der­jäh­ri­ge ab 14 Jah­ren. Es ist kei­ne trag­fä­hi­ge Be­grün­dung für die An­nah­me er­sicht­lich, dass der Ge­setz­ge­ber die durch § 104c Auf­en­thG er­mög­lich­te "Brü­cke" zu ei­nem ver­fes­ti­gungs­of­fe­nen Auf­ent­halt Voll­jäh­ri­gen vor­be­hal­ten und ei­nen Teil der durch die An­schluss­norm des § 25a Auf­en­thG Be­rech­tig­ten hier­von aus­schlie­ßen woll­te (so auch Zühl­ke, in: HTK-AuslR, § 104c Auf­en­thG, zu Abs. 1, Rn. 42, Stand 31. Ja­nu­ar 2025; Witt­mann, in: Ber­lit, GK-Auf­en­thG, Stand März 2024, § 104c Rn. 68; ders., In­fAuslR 2023, 288).

19 Der Wort­laut des § 25a Abs. 1 Satz 1 Auf­en­thG und die Be­grün­dung des Ge­setz­ent­wurfs (BT-Drs. 20/3717 S. 37) be­stä­ti­gen, dass auch ju­gend­li­che In­ha­ber ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Auf­en­thG von der Re­ge­lung be­güns­tigt wer­den sol­len. Die An­nah­me, dass hier hin­sicht­lich Min­der­jäh­ri­ger nur auf In­ha­ber ei­nes ab­ge­lei­te­ten Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts nach § 104c Abs. 2 Satz 1 Auf­en­thG Be­zug ge­nom­men sein soll, liegt nicht na­he. Un­be­glei­te­te Min­der­jäh­ri­ge, für die ei­ne ab­ge­lei­te­te Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 2 Auf­en­thG nicht in Be­tracht kommt, könn­ten dann über­haupt kei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG er­hal­ten, oh­ne dass da­für Grün­de er­sicht­lich sind.

20 Die von der Be­klag­ten an­ge­führ­ten, eben­falls der Ge­set­zes­sys­te­ma­tik ent­nom­me­nen Ein­wän­de recht­fer­ti­gen kein an­de­res Er­geb­nis. Dass § 104c Abs. 2 Auf­en­thG an­ders als § 25a Abs. 2 Auf­en­thG kein ak­zes­so­ri­sches Auf­ent­halts­recht der El­tern re­gelt, zwingt nicht zu dem Schluss, dass § 104c Abs. 1 Auf­en­thG nur auf Voll­jäh­ri­ge An­wen­dung fin­det. § 104c Abs. 2 Auf­en­thG ge­währt dem Ehe­gat­ten, dem Le­bens­part­ner und den min­der­jäh­ri­gen le­di­gen Kin­dern ei­nes nach Ab­satz 1 Be­güns­tig­ten ein ab­ge­lei­te­tes Auf­ent­halts­recht. Da­mit soll ver­hin­dert wer­den, dass ein­zel­ne Fa­mi­li­en­mit­glie­der aus­rei­se­pflich­tig blei­ben, ob­wohl ei­nem Fa­mi­li­en­mit­glied mit dem Chan­cen-Auf­ent­halts­recht ei­ne auf­ent­halts­recht­li­che Per­spek­ti­ve in Deutsch­land er­öff­net wur­de (vgl. BT-Drs. 20/3717 S. 45). Ei­ne Er­wäh­nung auch der El­tern dräng­te sich an die­ser Stel­le nicht der­art auf, dass aus ih­rem Feh­len auf ei­nen auf Voll­jäh­ri­ge be­schränk­ten An­wen­dungs­be­reich des § 104c Abs. 1 Auf­en­thG ge­schlos­sen wer­den müss­te. Denn an­ders als bei § 25a Auf­en­thG wer­den die El­tern hier ty­pi­scher­wei­se auch und ge­ra­de von dem ori­gi­nä­ren Auf­ent­halts­recht des Ab­sat­zes 1 be­güns­tigt. So­weit sie die­ses we­gen Iden­ti­täts­täu­schun­gen, Straf­fäl­lig­keit oder feh­len­den Be­kennt­nis­ses zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung nicht er­lan­gen kön­nen, be­steht auch kein An­lass für die Ge­wäh­rung ei­nes ab­ge­lei­te­ten Auf­ent­halts­rechts. In­so­fern ist in § 104c Abs. 2 Auf­en­thG le­dig­lich für den Son­der­fall nicht Sor­ge ge­tra­gen, dass in ei­ner ins­ge­samt ge­dul­de­ten Fa­mi­lie ein als Stamm­be­rech­tig­ter in Be­tracht kom­men­des Kind an­ders als sei­ne El­tern die Vor­auf­ent­halts­zei­ten er­füllt. Dass der Ge­setz­ge­ber die­se spe­zi­el­le Fall­kon­stel­la­ti­on in § 104c Abs. 2 Auf­en­thG nicht aus­drück­lich be­rück­sich­tigt hat, lässt nicht dar­auf schlie­ßen, dass der An­wen­dungs­be­reich des § 104c Abs. 1 Auf­en­thG auf Voll­jäh­ri­ge be­schränkt sein soll. Das gilt um­so mehr, als ein tat­säch­li­ches Aus­ein­an­der­rei­ßen der Fa­mi­lie durch ei­ne Dul­dung der El­tern ver­hin­dert wer­den kann und der Ge­setz­ge­ber das Ziel, ein (recht­li­ches) Aus­ein­an­der­fal­len des Auf­ent­halts­sta­tus in der Fa­mi­lie zu ver­mei­den, auch im Üb­ri­gen nicht un­ein­ge­schränkt ver­folgt hat.

21 Dass § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG dem Wort­laut nach aus­nahms­los ein Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung ver­langt, recht­fer­tigt eben­falls nicht die An­nah­me, der An­wen­dungs­be­reich der Vor­schrift sei auf - ge­mäß § 80 Abs. 1 Auf­en­thG aus­län­der­recht­lich hand­lungs­fä­hi­ge - Voll­jäh­ri­ge be­schränkt. Denn die­se Vor­aus­set­zung gilt aus­drück­lich auch für das ab­ge­lei­te­te Auf­ent­halts­recht min­der­jäh­ri­ger Kin­der (§ 104c Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG). Hier­an kön­nen An­sprü­che min­der­jäh­ri­ger Kin­der des­halb nicht zwin­gend und au­to­ma­tisch schei­tern (zu die­ser Vor­aus­set­zung vgl. nä­her 4.). An­dern­falls hät­te der Ge­setz­ge­ber ei­ne in sich wi­der­sprüch­li­che, per­ple­xe Rechts­vor­schrift ge­schaf­fen.

22 Nach al­le­dem kann ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG je­den­falls sol­chen Min­der­jäh­ri­gen er­teilt wer­den, die nach Ab­lauf der 18-mo­na­ti­gen Gül­tig­keits­dau­er die al­ters­mä­ßi­gen Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Abs. 1 Auf­en­thG er­fül­len, al­so das 14. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben (noch wei­ter­ge­hend OVG Greifs­wald, Ur­teil vom 6. Ju­ni 2024 - 2 LB 729/21 OVG - ju­ris Rn. 29 ff.). Dies ist bei der im ma­ß­geb­li­chen Zeit­punkt 15 Jah­re al­ten Klä­ge­rin der Fall.

23 2. Die Klä­ge­rin ist "ge­dul­det" im Sin­ne des § 104c Abs. 1 Auf­en­thG. Ge­dul­det ist ein Aus­län­der, wenn ihm ei­ne rechts­wirk­sa­me Dul­dung er­teilt wor­den ist oder wenn er ei­nen Rechts­an­spruch auf Dul­dung - na­ment­lich nach § 60a Abs. 2 Satz 1 Auf­en­thG - hat. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat die­se auf den ma­ß­geb­li­chen Zeit­punkt be­zo­ge­ne Vor­aus­set­zung im Rah­men von § 104c Abs. 1 Auf­en­thG nicht ge­son­dert ge­prüft, son­dern für aus­rei­chend er­ach­tet, dass die Klä­ge­rin am 31. Ok­to­ber 2022 seit fünf Jah­ren un­un­ter­bro­chen ge­dul­det ge­we­sen sei. Dies ver­letzt Bun­des­recht (vgl. zu § 25b Auf­en­thG BVer­wG, Ur­teil vom 18. De­zem­ber 2019 - 1 C 34.18 - BVer­w­GE 167, 211 Rn. 23). Der Man­gel wirkt sich aber im Er­geb­nis nicht aus, weil das Ge­richt die in­so­weit er­for­der­li­chen tat­säch­li­chen Fest­stel­lun­gen bei der Prü­fung des Haupt­an­trags auf Er­tei­lung ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Auf­en­thG ge­trof­fen hat (UA S. 16). Nach die­sen Fest­stel­lun­gen war die Klä­ge­rin im Zeit­punkt der zweit­in­stanz­li­chen münd­li­chen Ver­hand­lung im Be­sitz ei­ner Dul­dung.

24 3. Die Klä­ge­rin er­füllt auch die Vor­aus­set­zung ei­nes fünf­jäh­ri­gen nä­her qua­li­fi­zier­ten Vor­auf­ent­hal­tes am ge­setz­lich be­zeich­ne­ten Stich­tag. Ge­mäß § 104c Abs. 1 Auf­en­thG muss sich der Aus­län­der am 31. Ok­to­ber 2022 seit fünf Jah­ren un­un­ter­bro­chen ge­dul­det, ge­stat­tet oder mit ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis im Bun­des­ge­biet auf­ge­hal­ten ha­ben. Nach der Se­nats­recht­spre­chung zu § 25b Auf­en­thG, die das Be­ru­fungs­ge­richt an die­ser Stel­le zu­tref­fend her­an­ge­zo­gen hat, sind al­le un­un­ter­bro­che­nen Auf­ent­halts­zei­ten des Aus­län­ders zu be­rück­sich­ti­gen, die von ei­nem auf­ent­halts­re­geln­den Ver­wal­tungs­akt (ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis, Auf­ent­halts­ge­stat­tung oder Dul­dung) ge­deckt wa­ren oder in de­nen ei­ne Ab­schie­bung aus tat­säch­li­chen oder recht­li­chen Grün­den un­mög­lich war (BVer­wG, Ur­teil vom 18. De­zem­ber 2019 - 1 C 34.18 - BVer­w­GE 167, 211 Rn. 41, un­ter Hin­weis auf BT-Drs. 18/4097 S. 43). Tat­säch­lich er­teil­te Dul­dun­gen sind auch dann zu be­rück­sich­ti­gen, wenn es sich um Dul­dun­gen für Per­so­nen mit un­ge­klär­ter Iden­ti­tät nach § 60b Auf­en­thG ge­han­delt hat (§ 104c Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 60b Abs. 5 Satz 1 Auf­en­thG).

25 Da­von aus­ge­hend hat das Be­ru­fungs­ge­richt ei­nen fünf­jäh­ri­gen, un­un­ter­bro­chen ge­dul­de­ten Auf­ent­halt zum Stich­tag im Er­geb­nis zu Recht be­jaht. Es hat fest­ge­stellt, dass der Auf­ent­halt der Klä­ge­rin in den Zeit­räu­men vom 31. Ok­to­ber 2017 bis zum 25. Ja­nu­ar 2018 und vom 10. Ok­to­ber 2019 bis zum Stich­tag je­weils durch förm­li­che Dul­dungs­be­schei­ni­gun­gen, die zu­nächst der Mut­ter der Klä­ge­rin aus­ge­stellt wor­den sind und die sich auf die dar­in eben­falls ein­ge­tra­ge­ne Klä­ge­rin er­streckt ha­ben, ge­deckt war. In dem nicht durch förm­li­che Dul­dun­gen ab­ge­deck­ten Zeit­raum vom 26. Ja­nu­ar 2018 bis 9. Ok­to­ber 2019 be­stand zu­min­dest ein ma­te­ri­el­ler Dul­dungs­grund in Form des tat­säch­li­chen Ab­schie­bungs­hin­der­nis­ses der Pass­lo­sig­keit und der un­ge­klär­ten Iden­ti­tät.

26 4. Das von § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG grund­sätz­lich ver­lang­te Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung hat das Be­ru­fungs­ge­richt hier im Er­geb­nis zu­tref­fend für ent­behr­lich ge­hal­ten. Zwar ist sei­ne Rechts­auf­fas­sung, ein sol­ches Be­kennt­nis sei stets ent­behr­lich, wenn der An­trag­stel­ler im An­schluss an die Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Auf­en­thG an­stre­be, mit Bun­des­recht nicht ver­ein­bar (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 Vw­GO). Die An­nah­me, die Klä­ge­rin brau­che ein sol­ches Be­kennt­nis nicht ab­zu­ge­ben, er­weist sich aber aus an­de­ren Grün­den als rich­tig (vgl. § 144 Abs. 4 Vw­GO). Denn ein Aus­län­der, der das 16. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet hat, ist von der Er­fül­lung der Vor­aus­set­zung des § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG in ent­spre­chen­der An­wen­dung des § 10 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 34 Satz 1 StAG be­freit.

27 Nach dem Norm­text des § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG setzt die Er­tei­lung der Auf­ent­halts­er­laub­nis aus­nahms­los die Ab­ga­be ei­nes Be­kennt­nis­ses zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung vor­aus. Dies gilt so­wohl für die Auf­ent­halts­er­laub­nis aus ei­ge­nem Recht (§ 104c Abs. 1 Satz 1 Auf­en­thG) als auch für die ab­ge­lei­te­te Auf­ent­halts­er­laub­nis als Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­ger nach § 104c Abs. 2 Satz 1 Auf­en­thG, der oh­ne Ein­schrän­kung auf die Vor­aus­set­zun­gen des Ab­sat­zes 1 Nr. 1 und 2 ver­weist. Das Be­kennt­nis­er­for­der­nis er­fasst dem Wort­laut nach auch min­der­jäh­ri­ge Kin­der je­den Al­ters. Da­mit ist es plan­wid­rig zu weit ge­fasst und be­darf der te­leo­lo­gi­schen Re­duk­ti­on.

28 a) Das Er­for­der­nis ei­nes ak­ti­ven Be­kennt­nis­ses zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung hat erst­mals bei der Schaf­fung der stich­tags­un­ab­hän­gi­gen Blei­be­rechts­re­ge­lung des § 25b Auf­en­thG durch das Ge­setz zur Neu­be­stim­mung des Blei­be­rechts und der Auf­ent­halts­be­en­di­gung vom 27. Ju­li 2015 (BGBl. I S. 1386) in das Auf­ent­halts­ge­setz Ein­gang ge­fun­den. Es ist spä­ter auch in § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG über­nom­men wor­den. Das Tat­be­stands­merk­mal ist der ent­spre­chen­den Vor­aus­set­zung aus dem Ein­bür­ge­rungs­recht nach­ge­bil­det (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG). In bei­den Rechts­ge­bie­ten dient es ei­nem gleich ge­rich­te­ten Zweck: Es soll si­cher­stel­len, dass nur Per­so­nen, wel­che die Kon­struk­ti­ons­prin­zi­pi­en ei­ner frei­heit­li­chen Staats­ord­nung, die auf de­mo­kra­ti­schen Grund­sät­zen be­ruht und die Men­schen­wür­de und Frei­heit ih­rer Bür­ger wahrt und ach­tet (vgl. et­wa BVer­wG, Ur­teil vom 29. Mai 2018 - 1 C 15.17 - BVer­w­GE 162, 153 Rn. 56 zum Staats­an­ge­hö­rig­keits­recht), ein ver­fes­ti­gungs­of­fe­nes Auf­ent­halts­recht er­hal­ten oder - wei­ter­ge­hend - in den deut­schen Staats­ver­band ein­ge­bür­gert wer­den. Die­ser Zweck kann nur er­reicht wer­den, wenn der An­trag­stel­ler den we­sent­li­chen In­halt des Be­kennt­nis­ses ver­stan­den hat. Dies setzt ge­wis­se Min­dest­an­for­de­run­gen an Al­ter und Rei­fe vor­aus. Um­ge­kehrt ist auch ei­ne Miss­ach­tung der frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung um­so we­ni­ger zu be­sor­gen, je jün­ger ein An­trag­stel­ler ist.

29 b) Wie ins­be­son­de­re § 104c Abs. 2 Auf­en­thG zeigt, sol­len auch min­der­jäh­ri­ge An­trag­stel­ler ein­schlie­ß­lich Klein- und Kleinst­kin­der, wel­che of­fen­sicht­lich noch kein re­flek­tier­tes Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung ab­ge­ben kön­nen, die Vor­aus­set­zun­gen für ein (ab­ge­lei­te­tes) Chan­cen-Auf­ent­halts­recht er­fül­len kön­nen. Dies ist nicht durch die An­nah­me zu er­rei­chen, dass sich die­se durch ih­re ge­setz­li­chen Ver­tre­ter ver­tre­ten las­sen könn­ten (so aber Witt­mann, in: Ber­lit, GK-Auf­en­thG, Stand März 2024, § 104c Rn. 150.2). Denn bei dem Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung han­delt es sich um ei­ne höchst­per­sön­lich ab­zu­ge­ben­de Er­klä­rung, wo­von auch die Be­klag­te aus­geht. Dies lässt sich zwar nicht aus dem Ge­set­zes­text selbst, wohl aber aus den Ge­set­zes­ma­te­ria­li­en zu der ent­spre­chen­den Vor­aus­set­zung bei der Ein­bür­ge­rung er­schlie­ßen: Schon § 85 des Aus­län­der­ge­set­zes (AuslG a. F.) i. d. F. des Ge­set­zes zur Re­form des Staats­an­ge­hö­rig­keits­rechts vom 15. Ju­li 1999 (BGBl. I S. 1618 <1620>), der die An­spruchs­ein­bür­ge­rung sei­ner­zeit re­gel­te, ent­hielt die Vor­aus­set­zung ei­nes nä­her um­schrie­be­nen Be­kennt­nis­ses zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung. Er be­stimm­te zu­gleich, dass die­se kei­ne An­wen­dung fin­det, wenn ein min­der­jäh­ri­ges Kind im Zeit­punkt der Ein­bür­ge­rung das 16. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet hat (§ 85 Abs. 2 Satz 2 AuslG a. F.). In der Be­grün­dung des Ge­setz­ent­wurfs wur­de hier­zu aus­ge­führt, das Be­kennt­nis ha­be höchst­per­sön­li­chen Cha­rak­ter und set­ze die ent­spre­chen­de Ver­fah­rens­fä­hig­keit des Ein­bür­ge­rungs­be­wer­bers vor­aus (BT-Drs. 14/533 S. 18). Dass in ei­ner sol­chen Fra­ge der per­sön­li­chen Hal­tung und Ein­stel­lung ei­ne von ei­nem Ver­tre­ter ab­ge­ge­be­ne Er­klä­rung nicht aus­sa­ge­kräf­tig wä­re, leuch­tet auch in der Sa­che ein.

30 c) Aus dem Vor­ste­hen­den folgt, dass das Be­kennt­nis­er­for­der­nis plan­wid­rig zu weit ge­fasst ist. Die­ser je­den­falls für das ab­ge­lei­te­te Auf­ent­halts­recht min­der­jäh­ri­ger Kin­der nach § 104c Abs. 2 Satz 1 Auf­en­thG zwin­gen­de Schluss er­fasst auch die ori­gi­nä­re Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Auf­en­thG, weil sich ei­ne "ge­spal­te­ne Aus­le­gung" nicht recht­fer­ti­gen lässt (sie­he auch Rö­der, In­fAuslR 2024, 18). Der An­nah­me ei­ner Plan­wid­rig­keit steht hier nicht durch­grei­fend ent­ge­gen, dass im Rah­men der Ver­bän­de­an­hö­rung zum Re­fe­ren­ten­ent­wurf des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums des In­nern und für Hei­mat auf die Pro­ble­ma­tik hin­ge­wie­sen wor­den ist. So hat der Deut­sche An­walt­ver­ein an­ge­merkt, das Be­kennt­nis kön­ne nicht von Kin­dern ge­for­dert wer­den, die den Sinn die­ses Be­kennt­nis­ses nicht er­fass­ten. Dem Ge­set­zes­text in § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG sei des­halb der Zu­satz bei­zu­fü­gen: " so­fern er hier­zu auf­grund sei­nes Al­ters in der La­ge ist " (Stel­lung­nah­me Nr. 35/2022, Ju­ni 2022, S. 10). Auch der Bun­des­fach­ver­band un­be­glei­te­te min­der­jäh­ri­ge Flücht­lin­ge (BumF), Ju­gend­li­che oh­ne Gren­zen (JOG) und ter­re des hom­mes (tdh) ha­ben in ih­rer ge­mein­sa­men Stel­lung­nah­me zum Ent­wurf ei­nes Ge­set­zes zur Ein­füh­rung ei­nes Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts (un­da­tiert, S. 4) emp­foh­len, al­len Re­ge­lun­gen, die ein Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung ver­lan­gen, den Zu­satz " dem Al­ter und Rei­fe­grad an­ge­mes­sen" bei­zu­fü­gen. Je jün­ger die Kin­der sei­en, um­so schwe­rer wer­de es, ein eben­sol­ches Be­kennt­nis sinn­vol­ler­wei­se zu er­hal­ten (ähn­lich auch ter­re des hom­mes, Stel­lung­nah­me im Rah­men der öf­fent­li­chen An­hö­rung vom 28. No­vem­ber 2022, BT-Aus­schuss­druck­sa­che 20(4)143 C neu, S. 4).

31 Dass der Ge­setz­ge­ber die­se Ein­wän­de nicht auf­ge­grif­fen hat, kann sinn­voll nur da­hin ge­deu­tet wer­den, dass ei­ne in­di­vi­du­el­le An­knüp­fung an den je­wei­li­gen Rei­fe­grad des An­trag­stel­lers ge­ra­de nicht ge­wünscht war. Es liegt na­he, dass der Ge­setz­ge­ber sich statt­des­sen auf die schon in den An­wen­dungs­hin­wei­sen zu § 25b Auf­en­thG deut­lich wer­den­de Ein­schät­zung des im Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren fe­der­füh­ren­den Bun­des­mi­nis­te­ri­ums des In­nern und für Hei­mat ver­las­sen hat, nach der das Er­geb­nis, dass Kin­der un­ter 16 Jah­ren ein Be­kennt­nis nicht ab­ge­ben müs­sen, durch ei­ne An­leh­nung an die staats­an­ge­hö­rig­keits­recht­li­chen Vor­schrif­ten in ent­spre­chen­den An­wen­dungs­hin­wei­sen zu § 104c Auf­en­thG er­reicht wer­den kann (vgl. un­ten d) bb)). Da­mit wird aber nicht hin­rei­chend be­rück­sich­tigt, dass Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten kei­ne Rechts­qua­li­tät ha­ben und es statt­des­sen ei­ner ge­setz­li­chen Aus­nah­me­re­ge­lung nach dem Mus­ter des § 10 Abs. 1 Satz 2 StAG be­durft hät­te, um das Ge­wünsch­te rechts­si­cher zu er­rei­chen.

32 d) Die plan­wid­rig zu weit ge­fass­te Norm ist im We­ge der te­leo­lo­gi­schen Re­duk­ti­on auf den ih­rem Zweck und dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers ent­spre­chen­den An­wen­dungs­be­reich zu be­schrän­ken.

33 An­lass zu rich­ter­li­cher Rechts­fort­bil­dung be­steht ins­be­son­de­re dort, wo Pro­gram­me aus­ge­füllt, Lü­cken ge­schlos­sen, Wer­tungs­wi­der­sprü­che auf­ge­löst wer­den oder be­son­de­ren Um­stän­den des Ein­zel­falls Rech­nung ge­tra­gen wird. Die Be­fug­nis zur Kor­rek­tur des Wort­lauts ei­ner Vor­schrift steht den Ge­rich­ten nur be­grenzt zu. Sie ist un­ter an­de­rem dann ge­ge­ben, wenn die Be­schrän­kung des Wort­sinns ei­ner ge­setz­li­chen Re­ge­lung auf­grund des vom Ge­setz­ge­ber mit ihr ver­folg­ten Re­ge­lungs­ziels ge­bo­ten ist, die ge­setz­li­che Re­ge­lung al­so nach ih­rem Wort­laut Sach­ver­hal­te er­fasst, die sie nach dem er­kenn­ba­ren Wil­len des Ge­setz­ge­bers nicht er­fas­sen soll. In ei­nem sol­chen Fall ist ei­ne zu weit ge­fass­te Re­ge­lung im We­ge der so­ge­nann­ten te­leo­lo­gi­schen Re­duk­ti­on auf den ihr nach Sinn und Zweck zu­ge­dach­ten An­wen­dungs­be­reich zu­rück­zu­füh­ren. Ob ei­ne plan­wid­ri­ge Ge­set­zes­lü­cke als Vor­aus­set­zung ei­ner te­leo­lo­gi­schen Re­duk­ti­on vor­liegt, ist nach dem Plan des Ge­setz­ge­bers zu be­ur­tei­len, der dem Ge­setz zu­grun­de liegt. Liegt ei­ne sol­che Lü­cke vor, ist sie durch Hin­zu­fü­gung ei­ner dem ge­setz­ge­be­ri­schen Plan ent­spre­chen­den Ein­schrän­kung zu schlie­ßen (vgl. BVer­wG, Ur­tei­le vom 15. Ja­nu­ar 2019 - 1 C 15.18 - BVer­w­GE 164, 179 Rn. 17 m. w. N. und vom 11. De­zem­ber 2020 - 5 C 9.19 - BVer­w­GE 171, 49 Rn. 24 ff.).

34 aa) Von der Not­wen­dig­keit ei­ner te­leo­lo­gi­schen Re­duk­ti­on ist das an­ge­foch­te­ne Ur­teil im Aus­gangs­punkt zu­tref­fend aus­ge­gan­gen. Die dar­in vor­ge­nom­me­ne Art und Wei­se der te­leo­lo­gi­schen Re­duk­ti­on in An­knüp­fung an den er­streb­ten An­schluss­ti­tel ver­letzt in­des Bun­des­recht. Aus dem Um­stand, dass nur ei­ner der bei­den in Be­tracht kom­men­den An­schluss­ti­tel - die Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25b Auf­en­thG - ein Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung vor­aus­setzt, wäh­rend für den an­de­ren - die Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Auf­en­thG - das Feh­len kon­kre­ter An­halts­punk­te da­für, dass der Aus­län­der sich nicht zu die­ser be­kennt, aus­reicht, schlie­ßt das Be­ru­fungs­ge­richt, be­reits für das der Über­brü­ckung die­nen­de Chan­cen-Auf­ent­halts­recht nach § 104c Auf­en­thG sei ein po­si­ti­ves Be­kennt­nis nur dann zu for­dern, wenn ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25b Auf­en­thG an­ge­strebt wer­de. Ge­he es - wie hier - im An­schluss um die Er­tei­lung ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Auf­en­thG, so be­dür­fe es auch für die vor­an­ge­hen­de Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Auf­en­thG kei­nes ak­ti­ven Be­kennt­nis­ses. Ei­ne der­art weit­rei­chen­de te­leo­lo­gi­sche Be­gren­zung wür­de ei­ne re­la­tiv gro­ße Grup­pe auch voll­jäh­ri­ger Aus­län­der von der Be­kennt­nis­pflicht aus­neh­men. Es fehlt an ei­nem hin­rei­chen­den An­halts­punkt da­für, dass dies die Ab­sicht des Ge­setz­ge­bers ge­we­sen ist. Der Wil­le, für die be­fris­te­te Auf­ent­halts­er­laub­nis, die in ei­nen ei­ne dau­er­haf­te Auf­ent­halts­per­spek­ti­ve er­öff­nen­den Auf­ent­halt über­lei­ten soll, kei­ne stren­ge­ren Vor­aus­set­zun­gen auf­zu­stel­len als für den An­schluss­ti­tel, kann dem Ge­setz­ge­ber nicht oh­ne nä­he­ren An­halts­punkt un­ter­stellt wer­den. Der Ge­setz­ge­ber ist nicht ge­hin­dert, den pri­vi­le­gier­ten Zu­gang zur Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Auf­en­thG über das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht punk­tu­ell an wei­ter­rei­chen­de An­for­de­run­gen zu knüp­fen als den An­schluss­ti­tel (so auch Rö­der, in: Be­ck­OK Mi­gra­ti­ons- und In­te­gra­ti­ons­recht, Stand Ja­nu­ar 2025, § 104c Auf­en­thG Rn. 56a; Witt­mann, in: Ber­lit, GK-Auf­en­thG, Stand März 2024, § 104c Rn. 150.4). Es ist nicht of­fen­sicht­lich aus­ge­schlos­sen, dass ge­nau dies hier be­ab­sich­tigt war. Auf der an­de­ren Sei­te wür­de die vom Be­ru­fungs­ge­richt für rich­tig ge­hal­te­ne te­leo­lo­gi­sche Re­duk­ti­on nichts dar­an än­dern, dass jün­ge­re Kin­der, bei de­nen fest­steht, dass sie nach 18 Mo­na­ten die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne An­schluss­auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Auf­en­thG nicht er­fül­len kön­nen, ei­ne ab­ge­lei­te­te Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 2 Auf­en­thG we­gen des für sie wei­ter­hin gel­ten­den Be­kennt­nis­er­for­der­nis­ses nicht er­hal­ten könn­ten (an­ders, in­so­weit aber zwei­fel­haft OVG Greifs­wald, Ur­teil vom 6. Ju­ni 2024 - 2 LB 729/21 OVG - ju­ris Rn. 29 ff.).

35 bb) Das bei § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG fest­zu­stel­len­de Re­ge­lungs­de­fi­zit ist viel­mehr durch ei­ne ana­lo­ge An­wen­dung der Aus­nah­me­vor­schrift des § 10 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 34 Satz 1 StAG zu schlie­ßen, um den Re­ge­lungs­ge­halt auf ei­nen dem Re­ge­lungs­zweck und den Vor­stel­lun­gen des Ge­setz­ge­bers ent­spre­chen­den An­wen­dungs­be­reich zu­rück­zu­füh­ren (eben­so OVG Greifs­wald, Ur­teil vom 6. Ju­ni 2024 - 2 LB 729/21 OVG - ju­ris Rn. 41 ff.; Rö­der, In­fAuslR 2024, S. 18 f.). An­trag­stel­ler, die im Zeit­punkt der Ent­schei­dung das 16. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet ha­ben, sind des­halb von der Ab­ga­be ei­nes Be­kennt­nis­ses zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung be­freit.

36 Der Ge­setz­ge­ber hat das für ei­ne An­spruchs­ein­bür­ge­rung be­reits nach § 85 AuslG a. F. und ak­tu­ell in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG vor­aus­ge­setz­te Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung stets mit der - aus­drück­lich ge­re­gel­ten - Ein­schrän­kung ver­se­hen, dass Per­so­nen, die nach der ein­schlä­gi­gen Vor­schrift des Staats­an­ge­hö­rig­keits­ge­set­zes nicht hand­lungs­fä­hig sind, es nicht ab­zu­ge­ben brau­chen (vgl. ak­tu­ell: § 10 Abs. 1 Satz 2 StAG). Die Al­ters­gren­ze für die Hand­lungs­fä­hig­keit war bis 31. Ok­to­ber 2015 in An­leh­nung an die Hand­lungs­fä­hig­keit nach dem Auf­ent­halts­ge­setz auf 16 Jah­re fest­ge­legt. Auch seit der Her­auf­set­zung der für das Auf­ent­halts­recht gel­ten­den Gren­ze auf die Voll­jäh­rig­keit in § 80 Abs. 1 Auf­en­thG durch das Ge­setz zur Ver­bes­se­rung der Un­ter­brin­gung, Ver­sor­gung und Be­treu­ung aus­län­di­scher Kin­der und Ju­gend­li­cher vom 28. Ok­to­ber 2015 (BGBl. I S. 1802) ist sie für das Staats­an­ge­hö­rig­keits­recht un­ver­än­dert - nun­mehr durch ei­ne ei­gen­stän­di­ge Re­ge­lung - auf 16 Jah­re be­stimmt (ak­tu­ell in § 34 Satz 1 StAG).

37 In ei­nem ver­gleich­ba­ren Re­ge­lungs­zu­sam­men­hang wie im Ein­bür­ge­rungs­recht steht die Vor­aus­set­zung ei­nes Be­kennt­nis­ses zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung im Auf­ent­halts­ge­setz, in das sie zu­nächst im Rah­men der Auf­ent­halts­er­laub­nis für nach­hal­tig in­te­grier­te Aus­län­der (§ 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Auf­en­thG) und spä­ter im Rah­men des Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts (§ 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG) Ein­gang ge­fun­den hat. Wie oben aus­ge­führt, er­füllt das Be­kennt­nis­er­for­der­nis in al­len die­sen Re­ge­lun­gen ei­nen ver­gleich­ba­ren Zweck. Die in der Ent­wurfs­be­grün­dung zu § 85 AuslG a. F. ge­äu­ßer­te An­nah­me des Ge­setz­ge­bers, wo­nach das Be­kennt­nis höchst­per­sön­li­chen Cha­rak­ter hat und die ent­spre­chen­de Ver­fah­rens­fä­hig­keit des Ein­bür­ge­rungs­be­wer­bers vor­aus­setzt, ist auf die Be­kennt­nis­er­for­der­nis­se in § 25b und § 104c Auf­en­thG zu über­tra­gen. We­gen der ver­gleich­ba­ren In­ter­es­sen­la­ge ist da­von aus­zu­ge­hen, dass der Ge­setz­ge­ber im Rah­men von § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG ei­ne eben­sol­che Aus­nah­me­vor­schrift ge­schaf­fen hät­te, wenn er das Re­ge­lungs­de­fi­zit er­kannt hät­te. In ent­spre­chen­der An­wen­dung von § 10 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 34 Satz 1 StAG müs­sen des­halb Aus­län­der, die ei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 oder 2 Auf­en­thG be­geh­ren, ein Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung nicht ab­ge­ben, wenn sie das 16. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet ha­ben.

38 Der ent­spre­chen­den An­wen­dung die­ser - der Re­ge­lung über die staats­an­ge­hö­rig­keits­recht­li­che Hand­lungs­fä­hig­keit ent­nom­me­nen - Al­ters­be­gren­zung im Rah­men von § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG steht nicht ent­ge­gen, dass der Ge­setz­ge­ber das Al­ter, ab dem Ver­fah­rens­hand­lun­gen wirk­sam vor­ge­nom­men wer­den kön­nen, im Auf­ent­halts- und Asyl­recht mit Wir­kung vom 1. No­vem­ber und 24. Ok­to­ber 2015 auf 18 Jah­re an­ge­ho­ben hat (§ 80 Abs. 1 Auf­en­thG n. F., BGBl. I S. 1802, § 12 AsylG n. F., BGBl. I S. 1722). Da­durch soll­te auch für die aus­län­di­schen Min­der­jäh­ri­gen, die be­reits das 16. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben, der Vor­rang des Kin­der- und Ju­gend­hil­fe­rechts be­tont wer­den (vgl. BR-Drs. 349/15 S. 14 f.). Ent­schei­dend im vor­lie­gen­den Zu­sam­men­hang ist in­des nicht die Hand­lungs- oder Ver­fah­rens­fä­hig­keit im All­ge­mei­nen, son­dern le­dig­lich ein spe­zi­el­ler As­pekt, näm­lich die Fä­hig­keit zur Ab­ga­be ei­nes - von hin­rei­chen­dem Ver­ständ­nis ge­tra­ge­nen - Be­kennt­nis­ses zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung. Von die­ser Fä­hig­keit geht der Ge­setz­ge­ber im Staats­an­ge­hö­rig­keits­recht seit dem In­kraft­tre­ten von § 85 Abs. 1 AuslG a. F. und heu­te in­halts­gleich in § 10 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 34 Satz 1 StAG bei Ju­gend­li­chen ab dem Al­ter von 16 Jah­ren aus. Die­se Al­ters­gren­ze ist da­mit auch bei dem ver­gleich­ba­ren Be­kennt­nis zu­grun­de zu le­gen, das bei der Er­tei­lung ei­ner Auf­ent­halts­er­laub­nis in § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Auf­en­thG ge­for­dert ist.

39 Hier­von ge­hen im Er­geb­nis auch die An­wen­dungs­hin­wei­se des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums des In­nern und für Hei­mat (BMI) zur Ein­füh­rung ei­nes Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts (Stand April 2024, S. 5) aus.

40 Nach al­le­dem muss­te die Klä­ge­rin ein ak­ti­ves Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung nicht ab­ge­ben, weil sie im ma­ß­geb­li­chen Zeit­punkt der Ent­schei­dung des Be­ru­fungs­ge­richts das 16. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet hat­te. Da­von un­be­rührt bleibt, dass die Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Auf­en­thG auch bei un­ter 16-Jäh­ri­gen zu ver­sa­gen ist, wenn im Ein­zel­fall kon­kre­te An­halts­punk­te da­für be­stehen, dass der Aus­län­der sich nicht zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung be­kennt (eben­so OVG Greifs­wald, Ur­teil vom 6. Ju­ni 2024 - 2 LB 729/21 OVG - ju­ris Rn. 41, 43). In­so­weit ist die in § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Auf­en­thG aus­drück­lich ge­re­gel­te Vor­aus­set­zung ent­spre­chend her­an­zu­zie­hen, um der Be­deu­tung, die der Ge­setz­ge­ber dem Be­kennt­nis zur frei­heit­li­chen de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung in § 104c Abs. 1 und 2 Auf­en­thG bei­ge­mes­sen hat, auch im Hin­blick auf Ju­gend­li­che un­ter 16 Jah­ren Rech­nung zu tra­gen. Der­ar­ti­ge An­halts­punk­te sind hier in­des nicht fest­ge­stellt.

41 5. Die ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen des § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Auf­en­thG an die straf­recht­li­che Un­be­schol­ten­heit sind er­füllt. Nach den ta­trich­ter­li­chen Fest­stel­lun­gen der Vor­in­stanz, an die der Se­nat ge­mäß § 137 Abs. 2 Vw­GO ge­bun­den ist, ist die Klä­ge­rin nicht we­gen ei­ner im Bun­des­ge­biet be­gan­ge­nen vor­sätz­li­chen Straf­tat ver­ur­teilt wor­den.

42 6. Der Re­gel­ver­sa­gungs­grund des § 104c Abs. 1 Satz 2 Auf­en­thG greift nicht ein. Nach die­ser Vor­schrift soll die Auf­ent­halts­er­laub­nis nach Satz 1 ver­sagt wer­den, wenn der Aus­län­der wie­der­holt fal­sche An­ga­ben ge­macht oder über sei­ne Iden­ti­tät oder Staats­an­ge­hö­rig­keit ge­täuscht hat und da­durch sei­ne Ab­schie­bung ver­hin­dert. Dies er­for­dert ein ak­ti­ves ei­gen­ver­ant­wort­li­ches Ver­hal­ten des Aus­län­ders, das kau­sal für die Ver­hin­de­rung der Auf­ent­halts­be­en­di­gung ist. Täu­schungs­ver­hal­ten al­lein der El­tern wird den Kin­dern nicht zu­ge­rech­net (vgl. BT-Drs. 20/3717 S. 45; eben­so zu § 25a Abs. 1 Satz 3 Auf­en­thG be­reits BVer­wG, Ur­teil vom 14. Mai 2013 - 1 C 17.12 - BVer­w­GE 146, 281 Rn. 16). Ei­ge­ne Falsch­an­ga­ben oder Täu­schungs­hand­lun­gen der Klä­ge­rin lie­gen nach den ta­trich­ter­li­chen Fest­stel­lun­gen des Be­ru­fungs­ge­richts nicht vor.

43 7. Die Klä­ge­rin er­füllt die all­ge­mei­nen Er­tei­lungs­vor­aus­set­zun­gen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 und 3 Auf­en­thG. Nach den für den Se­nat bin­den­den Fest­stel­lun­gen des Be­ru­fungs­ge­richts be­steht in ih­rer Per­son kein Aus­wei­sungs­in­ter­es­se, und sie be­ein­träch­tigt oder ge­fähr­det auch nicht aus ei­nem sons­ti­gen Grund In­ter­es­sen der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Die Re­ge­ler­tei­lungs­vor­aus­set­zun­gen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 Auf­en­thG (Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts), Nr. 1a (Klä­rung der Iden­ti­tät und Staats­an­ge­hö­rig­keit) und Nr. 4 (Er­fül­lung der Pass­pflicht), so­wie die Vor­aus­set­zung der Ein­rei­se mit dem er­for­der­li­chen Vi­sum (§ 5 Abs. 2 Auf­en­thG) brau­chen nicht vor­zu­lie­gen, da die Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 104c Abs. 1 Satz 1 Auf­en­thG ab­wei­chend von ih­nen er­teilt wer­den soll.

44 8. Im Ein­klang mit Bun­des­recht steht auch die An­nah­me des Be­ru­fungs­ge­richts, die Ti­teler­tei­lungs­sper­re des § 10 Abs. 3 Satz 2 Auf­en­thG in der bis 26. Fe­bru­ar 2024 gel­ten­den Fas­sung ste­he der Er­tei­lung der Auf­ent­halts­er­laub­nis hier nicht ent­ge­gen. Zwar sind de­ren Vor­aus­set­zun­gen grund­sätz­lich er­füllt (a). Das in § 104c Abs. 3 Satz 1 Auf­en­thG er­öff­ne­te Er­mes­sen der Be­klag­ten, hier­von ab­zu­wei­chen, ist nach der recht­lich nicht zu be­an­stan­den­den An­nah­me des Be­ru­fungs­ge­richts aber auf Null re­du­ziert (b).

45 a) Nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Auf­en­thG in der hier noch an­zu­wen­den­den, bis zum 26. Fe­bru­ar 2024 gel­ten­den Fas­sung (vgl. § 104 Abs. 19 Auf­en­thG) darf ei­nem Aus­län­der, des­sen Asyl­an­trag un­an­fecht­bar nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 AsylG a. F. ab­ge­lehnt wur­de, vor der Aus­rei­se kein Auf­ent­halts­ti­tel er­teilt wer­den. Die­se Ti­teler­tei­lungs­sper­re ist im Fall der Klä­ge­rin grund­sätz­lich ein­schlä­gig, weil ihr Asyl­an­trag zu­sam­men mit den Asyl­an­trä­gen ih­rer El­tern mit Be­scheid des Bun­des­amts vom 14. Sep­tem­ber 2009 nach § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG a. F. in der sei­ner­zeit gel­ten­den Fas­sung (Täu­schung über die Iden­ti­tät und Staats­an­ge­hö­rig­keit) als of­fen­sicht­lich un­be­grün­det ab­ge­lehnt wor­den ist. Die Sperr­wir­kung ent­fällt nicht nach § 10 Abs. 3 Satz 3 Auf­en­thG, wo­nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Auf­en­thG im Fal­le ei­nes An­spruchs auf Er­tei­lung ei­nes Auf­ent­halts­ti­tels kei­ne An­wen­dung fin­det. Als blo­ße Soll-Vor­schrift be­grün­det § 104c Abs. 1 Auf­en­thG kei­nen sol­chen An­spruch (vgl. nä­her BVer­wG, Ur­teil vom 26. Mai 2020 - 1 C 12.19 - BVer­w­GE 168, 159 Rn. 52).

46 b) Nach § 104c Abs. 3 Satz 1 Auf­en­thG kann die Auf­ent­halts­er­laub­nis in­des ab­wei­chend von § 10 Abs. 3 Satz 2 Auf­en­thG er­teilt wer­den. Da­mit wan­delt sich der durch § 104c Abs. 1 Satz 1 Auf­en­thG grund­sätz­lich ein­ge­räum­te Re­gel­an­spruch in ei­nen An­spruch nach pflicht­ge­mä­ßem Er­mes­sen (vgl. Witt­mann, in: Ber­lit, GK-Auf­en­thG, Stand März 2024, § 104c Rn. 229). Die Auf­fas­sung des Be­ru­fungs­ge­richts, das so ein­ge­räum­te Er­mes­sen sei hier auf Null re­du­ziert, steht mit re­vi­si­blem Recht im Ein­klang. Die Grün­de für die Ab­leh­nung des Asyl­an­trags als of­fen­sicht­lich un­be­grün­det la­gen aus­schlie­ß­lich im Ver­ant­wor­tungs­be­reich der El­tern, da die Klä­ge­rin bei der Asyl­an­trag­stel­lung noch ein Klein­kind war. Zwar sind auch in ei­nem der­ar­ti­gen Fall je­den­falls sol­che Ver­stö­ße ge­gen ge­setz­li­che Mit­wir­kungs­pflich­ten, die der Be­trof­fe­ne selbst nach Ein­tritt der Voll­jäh­rig­keit be­gan­gen hat, im Rah­men ei­ner Er­mes­sens­ent­schei­dung zu ge­wich­ten und zu wür­di­gen (vgl. BVer­wG, Ur­teil vom 14. Mai 2013 - 1 C 17.12 - BVer­w­GE 146, 281 Rn. 17, 31). Hier war die Klä­ge­rin aber im ma­ß­geb­li­chen Zeit­punkt wei­ter­hin min­der­jäh­rig und da­mit auf­ent­halts­recht­lich nicht hand­lungs­fä­hig (§ 80 Abs. 1 Auf­en­thG). Nach den Fest­stel­lun­gen des Be­ru­fungs­ge­richts er­füll­te die Klä­ge­rin im ma­ß­geb­li­chen Zeit­punkt be­reits voll­stän­dig die In­te­gra­ti­ons­an­for­de­run­gen des § 25a Auf­en­thG; fer­ner la­gen kei­ne aty­pi­schen, ge­gen die Er­tei­lung spre­chen­den Um­stän­de vor. Die An­nah­me ei­ner Er­mes­sens­re­du­zie­rung auf Null ist da­her re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den.

47 Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 154 Abs. 2 Vw­GO.